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Jahresrückblick von Grüner Vogel e.V.

Blicken Sie mit uns zurück auf 2025. Ein Jahr voller Austausch, Zusammenarbeit und neuer Impulse. Und ein Jahr, das wichtige Weichen für das Kommende gestellt hat.

Radikalisierung im Wandel: schneller, jünger, digitaler

In 2025 wurde deutlich, wie grundlegend sich Radikalisierungsverläufe verändert haben: Radikalisierung tritt bei immer jüngeren Menschen auf, verstärkt sich sehr viel schneller und wird in digitalen Räumen nicht nur verbreitet, sondern aktiv geformt – etwa über Influencing-Formate, ideologische Mischlagen und Verschwörungserzählungen, die Polarisierung und letztlich Radikalisierung beschleunigen. 

Vor diesem Hintergrund haben sich die Ebenen in unserer Arbeit noch sichtbarer verschränkt: Fall- und Angehörigenberatung, fachliche Analyse, Transferformate sowie Austausch mit Politik, Verwaltung und Fachnetzwerken. Der rote Faden blieb dabei die Handlungsfähigkeit unter veränderten Bedingungen, gerade dort, wo Sicherheitsfragen, Rechtsstaatlichkeit und Verantwortung ineinandergreifen.

Grußwort des BAMF. Referent steht neben der Bühne. Im Hintergrund eine Leinwand.
Fachtag von Grüner Vogel e.V.

Beratung

Die Beratungsarbeit stand auch 2025 im Zentrum der Arbeit des Grünen Vogels und war dringender denn je. Zahlreiche Anfragen machten deutlich, wie schnell sich Radikalisierungsprozesse zuspitzen und welche weitreichenden Auswirkungen sie auf Familien, soziale Beziehungen und Institutionen haben können. Internationale Krisen, insbesondere der Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und der anschließende Krieg in Gaza wurden weiterhin gezielt von islamistischen Akteur*innen für Propaganda und Radikalisierung instrumentalisiert. In der Beratung zeigte sich dabei zunehmend eine gesellschaftliche Spaltung, die sich in vereinfachten Freund-Feind-Deutungen niederschlägt, verstärkt durch soziale Medien wie TikTok und Instagram, über die extremistische Inhalte niedrigschwellig verbreitet werden können und die insbesondere junge Menschen erreichen.


Tagungspublikation „Die Attentäter*innen werden immer jünger“

Tagungspublikation „Die Attentäter*innen werden immer jünger“
Dokumentation zentraler Beiträge und Perspektiven unseres Fachtags 2025 zu Radikalisierung im Jugendalter, Online-Prävention und Jugendschutz – mit Beiträgen von Claudia Dantschke, Dr. Benno Köpfer, Prof. Dr. Peter Neumann, Dr. Anja Frank, Dr. Susann Prätor, Fabian Wichmann und streetwork@online.

Download der Publikation auf Deutsch (gedruckt verfügbar)


Inhaltlich blieb das Spektrum der Beratungsanfragen breit: Neben Anliegen von Angehörigen begleiten wir vor allem Frauen, die aus dem IS-Kontext zurückkehren, in Fragen der Deradikalisierung und Reintegration. Gleichzeitig nehmen Anfragen zur Einordnung und zum Umgang mit Auffälligkeiten aus Schulen und anderen Bildungseinrichtungen weiter zu. Auffällig war 2025 zudem ein Anstieg von Anfragen zur Radikalisierung junger Frauen – ein Trend, der die Bedeutung professioneller Beratungsarbeit unterstreicht und die Arbeit des Grünen Vogels e.V. auch künftig prägen wird. Die vielschichtigen Herausforderungen werden in enger Abstimmung mit unseren Partnern bearbeitet, um Unterstützung verlässlich und passgenau zu gestalten.

Sicherheit, Rechtsstaat, Menschenrechte: Haft und Rückkehr

Ein Themenkomplex, der uns das Jahr über begleitete, betrifft die Schnittstelle zwischen innerer Sicherheit und menschenrechtlicher Verantwortung, nämlich der Umgang mit sogenannten Foreign Terrorist Fighters (FTF). 2025 wurden dafür gezielt Fachdebatten begleitet und Räume für Austausch geschaffen, denn Nicht-Handeln erzeugt Risiken hier in Deutschland. Viele dieser meist jungen Männer aus Deutschland befinden sich unter prekären Umständen in Nordostsyrien in Haft. Die anhaltende Instabilität vor Ort, die Unsicherheit, wie lange diese Haftanstalten überhaupt noch existieren, fehlende rechtsstaatliche Verfahren und die als Katalysator für Radikalisierung wirkenden Haftbedingungen verschieben Gefahren nicht aus der Welt, sondern machen sie schwerer steuerbar. Eine differenzierte Diskussion und Klärung von Möglichkeiten zu rechtsstaatlich kontrollierten Verfahren, Strafverfolgung, Gefahrenbewertung und Prävention ist daher dringlich. 

In diesem Rahmen brachten wir unsere Perspektive aus Beratung und Distanzierungsarbeit auch im Sinne der Unterstützung der deutschen Angehörigen der FTF ein, damit sie nicht mit ihren Fragen alleine bleiben, sondern Orientierung, Einordnung und realistische Handlungsmöglichkeiten erhalten. 


Cover der Publikation im oberen Teil: Drei identische graue Stühle stehen nebeneinander vor einer grauen Wand, der mittlere Stuhl ist durch einen grünen Streifen im Hintergrund hervorgehoben. Darunter der Titel: Zwischen Haft und Rückkehr.

Wichmann, Fabian / Schedler, Hanno / Dantschke, Claudia (2025): Zwischen Haft und Rückkehr – Politische Optionen im Umgang mit inhaftierten IS-Anhängern aus Deutschland. Grüner Vogel e.V., Berlin. Download | Barrierearme Fassung | Download (Kurzfassung)


Konkrete Anlässe, an denen diese Fragen 2025 verhandelt wurden, waren u. a. ein Parlamentarisches Frühstück im Bundestag zur Debatte um deutsche IS-Häftlinge in Nordostsyrien sowie weitere Fachgespräche im Netzwerk. Flankiert wurde das Thema durch Veröffentlichungen und durch die fortlaufende Begleitung von Angehörigenperspektiven.

Diskussionsrunde beim parlamentarischen Frühstück von Grüner Vogel e.V. im Bundestag, mit Mikrofonen und Konferenztisch im Vordergrund.
Parlamentarisches Frühstück

Formate, die tragen: Fachtag, Bundestag, dist[ex] und Fachnetzwerke

Ein Schwerpunkt 2025 lag darauf, Erkenntnisse nicht nur zu sammeln, sondern in Formaten zu bündeln, die Austausch ermöglichen und Schlussfolgerungen für Praxis und Politik ableiten. In diesem Zusammenhang reisten wir quer durch die Republik und referierten national wie auch international, um Themen inhaltlich voranzutreiben:

  • Fachtag von Grüner Vogel e.V. zum Thema Radikalisierung Minderjähriger („Die Attentäter*innen werden immer jünger“) inklusive inhaltlicher Aufbereitung als Fachpublikation sowie Podcast und inhaltlichen Anschlussformaten für den Wissenstransfer.
  • Parlamentarisches Frühstück im Bundestag zur Haft-/Rückkehr-Thematik deutscher IS-Häftlinge und den damit verbundenen Sicherheits- und Rechtsstaatsfragen, zusammen mit Angehörigen und Experten.
  • dist[ex] Online-Fachveranstaltung „Extremismus ohne Grenzen – Deutsche Radikale im Auslandseinsatz“. Im Fokus stand die transnationale Dynamik, dass deutsche Extremist*innen aus unterschiedlichen ideologischen Lagern an bewaffneten Konflikten im Ausland beteiligt sind. Gemeinsam wurde diskutiert, welche sicherheits- und präventionsrelevanten Folgen daraus entstehen und welche Handlungsoptionen sich insbesondere für Distanzierungs- und Ausstiegsarbeit ableiten lassen.
  • Teilnahme an externen Fachveranstaltungen im Netzwerk und organisiert von Zivilgesellschaft, Behörden oder Wissenschaft, um Entwicklungen frühzeitig zu spiegeln, Vorgehen abzustimmen und Schnittstellen handhabbar zu halten.

Im Jahr 2025 floss die Expertise von Grüner Vogel e.V. auch in die Handlungsempfehlungen der Task Force Islamismusprävention ein. Claudia Dantschke, die bis November 2025 Mitglied der Taskforce war, erarbeitete gemeinsam mit anderen Fachexpertinnen und Fachexperten konkrete Vorschläge für eine nachhaltige Präventionsarbeit. Die Empfehlungen betonen differenzierte Ansätze und stärkere Ressourcen für Regelsysteme wie Schulen und Jugendhilfe, begleitet durch Monitoring von Radikalisierungsverläufen und verlässliche Wissensnetzwerke zwischen Praxis, Wissenschaft und Behörden. Einen besonderen Schwerpunkt bildet die digitale Dimension: Gefordert werden u. a. eine gesetzlich verankerte Altersbeschränkung sozialer Plattformen (ab 16 Jahren), die konsequente Entfernung demokratiefeindlicher Inhalte, eine Verpflichtung der Plattformen, Präventionsangebote sichtbar zu machen, sowie der Aufbau eines bundesweiten Wissensportals und einer Lehr- und Lernplattform für Fachkräfte.


Deckblatt der Publikation: Radikalisierungsprävention im Zeitalter gesellschaftlicher Unsicherheiten

Handlungsempfehlungen der Task Force Islamismusprävention Radikalisierungsprävention im Zeitalter gesellschaftlicher Unsicherheiten. Task Force Islamismusprävention des Bundesministerium des Innern. Berlin, 2025.

Download der Publikation auf Deutsch und Englisch


2025 ist außerdem dist[ex] gestartet, bei dem wir, gefördert vom Bundesprogramm „Demokratie leben!“, gemeinsam in einem Kooperationsverbund eine bundeszentrale Infrastruktur für Distanzierungs- und Ausstiegsarbeit aufbauen. Gerade vor dem Hintergrund zunehmend hybrider ideologischer Gemengelagen und sich gegenseitig verstärkender internationaler Konflikte wird mit dist[ex] die bundesweite, phänomenübergreifende Vernetzung im Feld gestärkt, um so Qualitätsentwicklung voranzubringen und Wissen aus Praxis und Fachdebatten systematischer verfügbar zu machen.

Mit der Politik im Dialog

Grüner Vogel e.V. hat auch die Möglichkeit für einen direkten und parteiunabhängigen Fachaustausch im Bundestag genutzt und durfte beim SPD-Bundestagsabgeordneten Helge Lindh sowie bei der Grünen-Bundestagsabgeordneten Lamya Kaddor zu Gast sein.

Im Mittelpunkt des konstruktiven Austauschs standen zivilgesellschaftliches Engagement in der islamistischen Deradikalisierungs- und Ausstiegsarbeit sowie zentrale Herausforderungen der Arbeit und Fragen innerer Sicherheit, aber auch Fragen zum Umgang mit „legalistischem“ Islamismus und einer sachlichen Auseinandersetzung damit, da pauschalisierende oder stigmatisierende Zuschreibungen Spaltung fördern und Prävention schwächen können. Aber auch die Zukunft der Präventionsarbeit wurde mit Blick auf dist[ex] eingeordnet.

Europa: Unsere Arbeit im EU Knowledge Hub

Parallel vertiefte sich 2025 der internationale Austausch insbesondere im EU Knowledge Hub on Prevention of Radicalisation. Die Mitarbeit in den Arbeitsgruppen Ideologies and Conspiracy Narratives (Thematic Panel 1) mit leitender Rolle sowie Foreign Terrorist Fighters (Thematic Panel 6) spiegelt unsere fachlichen Schwerpunkte. Aus dieser Arbeit sind 2025 11 Veröffentlichungen im Rahmen des EUKH entstanden, an denen wir aktiv mitgewirkt haben (z. B. Conclusion Papers & Factsheets), die Themen wie Ideologien und Verschwörungserzählungen, Radikalisierung und Jugendradikalisierung sowie Fragen zum Umgang mit FTFs für Praxis und Politik strukturieren.

Gruppenbild des „Ideology & Conspiracy Narratives“ im Rahmen des EU Knowledge Hub on Prevention of Radicalisation
Gruppenbild des „Ideology & Conspiracy Narratives“ im Rahmen des EU Knowledge Hub on Prevention of Radicalisation

Zusätzlich haben wir uns in der Nachwuchsförderung des EUKH eingebracht und Mentorenschaften im EUKH-Mentorenprogramm übernommen, um den Austausch zwischen Erfahrung, Forschung und Praxis gezielt zu unterstützen.

Online: Nasiha und Kooperation mit Streetwork@online

Auch die Beratung selbst haben wir in 2025 erweitert: Mit dem Projekt Nasiha wurde ein Schwerpunkt der Beratungsstelle Leben gesetzt, der sich kultursensibel und präventiv an Jugendliche und Minderjährige richtet, die mit extremistischen Inhalten in Kontakt kommen oder erste Radikalisierungstendenzen zeigen, inklusive Begleitung des Umfelds in kritischen Phasen. Damit wird auf eine Realität reagiert, die viele Familien und Fachkräfte gleichermaßen erleben: Radikalisierungsdynamiken beginnen häufig früher, verlaufen schneller und sind stärker von digitalen Räumen geprägt.


Frosch, Franziska / Orhon, Kaan (2025). Wie Islam-Fluencerinnen in den sozialen Medien gesellschaftliche Spannungen instrumentalisieren. In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.): Wissen schafft Demokratie, Band 17, S. 122–133. Download


Vor diesem Hintergrund haben wir die Kooperation mit streetwork@online weiter ausgebaut, um den Fachaustausch zu qualifizieren sowie niedrigschwellige Zugänge, frühe Kontaktmöglichkeiten und Orientierung dort zu stärken, wo Radikalisierungsprozesse häufig beginnen: auf Plattformen, in Chats und in digitalen Communities.

20 Veröffentlichungen und ein Podcast

Damit unsere Inhalte und Fachexpertise in die Praxis und in die Diskussionen der (Fach-)Öffentlichkeit zurückwirken können, haben wir für verschiedene Medien und Formate Interviews gegeben, in Hintergrundgesprächen bei fachlichen Einordnungen unterstützt und alleine oder im Verbund Fachartikel veröffentlicht, darunter Themen wie Foreign Terrorist Fighters, zu europäischen Präventionsstrategien (Link) und Radikalisierungstendenzen bei Minderjährigen, Antisemitismus als Querschnittsthema, oder digitalen Radikalisierungsdynamiken wie „islamistischem Influencing“. Als zusätzliches Transferformat kam ein eigener Podcast hinzu: „Präventionsgezwitscher“, der begleitend zu unserer Fachtagsdokumentation die Beiträge der Referent*innen für unterschiedliche Zielgruppen zugänglich macht.

Verstärkung für unser Team

Nicht zuletzt war 2025 auch ein Jahr interner Verstärkung: Neue Kolleg*innen kamen ins Team und haben zusätzliche Perspektiven und Kompetenzen eingebracht. Das hilft dabei, Beratung, fachliche Analyse sowie Netzwerk- und Gremienarbeit im Alltag verlässlich zu verbinden. Gerade weil sich Anforderungen im Feld gleichzeitig verdichten und verändern, ist es wichtig, Expertise kontinuierlich aufzubauen und weiterzugeben.

Fazit: Schnittstelle zwischen Praxis und Infrastruktur

Insgesamt lässt sich 2025 als Jahr beschreiben, in dem Grüner Vogel e.V. die Rolle an der Schnittstelle von Praxis und Struktur weiter konturierte: Beratung nah am Einzelfall und für Angehörige, Themenarbeit nah an veränderten Radikalisierungsdynamiken – und Kooperation dort, wo Prävention, Distanzierung und Ausstieg robuste Infrastrukturen brauchen. Handlungsfähigkeit blieb der Maßstab: in digitalen Räumen, im europäischen Austausch und in Debatten, in denen Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Verantwortung nicht getrennt voneinander gedacht werden können.

2026 wollen wir an das, was wir 2025 angestoßen und verstärkt haben, anknüpfen: Wir vertiefen begonnene Kooperationen, führen bewährte Formate fort und entwickeln sie weiter. Einige bereits erarbeitete Beiträge stehen zur Veröffentlichung an, und daneben ist auch die eine oder andere Überraschung in Vorbereitung. Kurz: Wir machen dort weiter, wo wir aufgehört haben – konsequent, lernend und mit einem Blick für die Dynamiken, die sich im Feld weiter verändern. Ein besonderer Dank gilt allen Partner*innen, Unterstützer*innen und Wegbegleiter*innen, die uns 2025 mit Vertrauen, Austausch und Zusammenarbeit begleitet haben.