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Rückblick auf die Fachtagung „Radikalisierungsprävention im Zeitalter gesellschaftlicher Unsicherheiten“

Am 18. September 2025 fand in der Schlossaula der Universität Osnabrück die Fachtagung der Task Force Islamismusprävention (TAFIP) statt. Unter dem Titel „Radikalisierungsprävention im Zeitalter gesellschaftlicher Unsicherheiten“ diskutierten Vertreter*innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Behörden und Politik aktuelle Entwicklungen im Bereich der Extremismusprävention.

Rückblick auf die Fachtagung der Task Force Islamismusprävention 2025 in Osnabrück: Vernetzung, Workshops und Empfehlungen.

Einordnung durch Politik und Wissenschaft

In seinem Grußwort betonte Staatssekretär Hans-Georg Engelke (Bundesministerium des Innern) die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit von staatlichen Institutionen, zivilgesellschaftlichen Akteuren und wissenschaftlicher Forschung. Nur so lasse sich den vielfältigen Herausforderungen einer wirksamen Islamismusprävention begegnen.

Den inhaltlichen Auftakt bildete ein Vortrag von Prof. Dr. Peter Neumann (King’s College London), der die veränderte Dynamik des islamistischen Extremismus in Europa skizzierte und dabei insbesondere die wachsende Bedeutung digitaler Kommunikationsräume hervorhob. Eine Paneldiskussion der Task Force knüpfte daran an und verdeutlichte, dass Prävention heute verschiedene gesellschaftliche Bereiche gleichermaßen betrifft – von Schule und Jugendhilfe über Familien und Vereine bis hin zu Social Media und Gaming-Plattformen. Ergänzt wurde dieser Teil durch einen Beitrag von Michaela Glaser (Berghof Foundation), die auf die besondere Rolle von Krisenerfahrungen junger Menschen in Radikalisierungsprozessen einging.

Vertiefungen in den Workshops

Am Nachmittag boten thematisch differenzierte Workshops die Gelegenheit, einzelne Aspekte der Prävention genauer zu beleuchten. Diskutiert wurden unter anderem Erfahrungen aus der Arbeit mit Rückkehrer*innen aus jihadistischen Kampfgebieten, Fragen der psychosozialen Unterstützung von Geflüchteten sowie Möglichkeiten und Grenzen digitaler Prävention am Beispiel der Plattform „Muslim aktiv und weltoffen“. Auch die Rolle von Sicherheitsbehörden in der Präventionsarbeit wurde erörtert, ebenso wie innovative Ansätze im Bereich von Gaming-Communities und Messenger-Diensten, die zunehmend als Rekrutierungsräume genutzt werden. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf dem Wissenstransfer in kontroversen gesellschaftlichen Debatten – etwa zu Migration und religiös begründetem Extremismus – und den Herausforderungen, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis zu überführen.

Bezug zum Empfehlungspapier

Grundlage vieler Diskussionen bildete das bereits im Sommer 2025 veröffentlichte Empfehlungspapier der Task Force Islamismusprävention. Dieses Dokument bündelt zentrale Ergebnisse der bisherigen Arbeit des Gremiums und enthält konkrete Vorschläge zur Weiterentwicklung von Präventionsstrukturen. Die Tagung bot die Möglichkeit, diese Empfehlungen in den Austausch mit Praktiker*innen und Fachöffentlichkeit einzubringen und kritisch zu reflektieren.

Zentrale Positionen der Task Force

Im Mittelpunkt der fachlichen Auseinandersetzung standen verschiedene Querschnittsthemen, die auch die Arbeit der Task Force prägen: die bessere Ausstattung von Schulen, Jugendhilfe und Sozialarbeit; der kontinuierliche Austausch zwischen Wissenschaft, Praxis und Behörden; die stärkere Berücksichtigung digitaler Räume in Präventionsstrategien; der Verzicht auf pauschale Zuschreibungen gegenüber muslimischen Communities sowie die Notwendigkeit langfristig gesicherter Förderstrukturen.

Fazit

Die Fachtagung hat gezeigt, dass Radikalisierungsprävention ein langfristiges, komplexes Arbeitsfeld ist, das unterschiedliche gesellschaftliche Akteure einbindet. Anstatt kurzfristige Maßnahmen zu verfolgen, bedarf es dauerhafter Strukturen und einer differenzierten Auseinandersetzung mit den Ursachen von Radikalisierung. Die Task Force wird hoffentlich ihre Arbeit auf Grundlage des Empfehlungspapiers weiterführen können. Ein wichtiger Aspekt wäre die Frage, wie Prävention wirksamer in Regelstrukturen verankert und an neue gesellschaftliche wie digitale Entwicklungen angepasst werden kann.

Podcast: „Islamisten auf Menschenfang – Radikalisierung im Internet“ (hr INFO)

Islamistische Akteur*innen nutzen soziale Medien gezielt, um Jugendliche anzusprechen: mit Lifestyle-Elementen, Angstpädagogik und dem Versprechen von Zugehörigkeit. Plattformen wie TikTok spielen dabei eine zentrale Rolle.

Der Podcast von hr INFO – Das Thema beleuchtet diese Strategien – und zeigt anhand des Falls „Adrian“, wie schnell digitale Rekrutierung wirken kann.

Mit dabei ist auch unsere Projektleiterin Claudia Dantschke (Grüner Vogel e.V.), die aus der Beratungsarbeit berichtet: wie Radikalisierungsmuster erkennbar werden, welche Mechanismen im Hintergrund wirken – und wie Prävention und Ausstieg gegensteuern können.

Ein Fazit: „Auch wenn der IS Geschichte ist – die Ideologie ist es nicht.“
Jetzt reinhören!

Mehr zum Thema Radikalisierung von Kindern und Jugendlichen finden Sie in unserer Fachtagspublikation sowie in unserem Podcast.

Deradikalisierung im Fokus: Vortrag des Grünen Vogel an der Hochschule der Polizei Brandenburg

Am 10. September 2025 gestaltete der Grüner Vogel e.V. eine Lehreinheit an der Hochschule der Polizei Brandenburg. Im Mittelpunkt stand die Arbeit im Bereich Deradikalisierung und Ausstiegsbegleitung. Die Veranstaltung richtete sich an Studierende des Masterstudiengang.

Deradikalisierung im Fokus: Vortrag des Grünen Vogel an der Hochschule der Polizei Brandenburg

Radikalisierung hat immer eine Geschichte

In der Lehreinheit wurde verdeutlicht, dass Radikalisierung selten allein durch Ideologie ausgelöst wird. Häufig spielen biografische Faktoren eine entscheidende Rolle: persönliche Krisen, Erfahrungen von Ausgrenzung, Identitätsfragen oder das Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Extremistische Gruppierungen nutzen diese Situationen gezielt aus, indem sie vermeintlich klare Orientierung, Zugehörigkeit und einfache Erklärungen anbieten.

Der lange Weg raus – Herausforderungen im Ausstieg

Auch die Begleitung von Ausstiegen und die damit verbundenen, individuellen Herausforderungen wurden thematisiert. Deutlich wurde: Der Weg aus extremistischen Szenen ist selten linear. Rückfälle, Zweifel und erneute Kontaktaufnahmen zur Szene gehören ebenso dazu wie Fortschritte und positive Wendepunkte. Entscheidend sind dabei Vertrauen, ein stabiles soziales Umfeld und die Entwicklung neuer Perspektiven – sei es im Bereich Ausbildung, Arbeit oder durch psychosoziale Unterstützung.

Radikalisierung ist auch ein Spiegel gesellschaftlicher Krisen

Die Diskussion machte auch deutlich, dass Radikalisierung nicht isoliert betrachtet werden kann. Sie steht immer im Kontext gesellschaftlicher Spannungen: Polarisierung, das Erstarken populistischer Diskurse, das Aufkommen neuer Krisen (z. B. durch Pandemie oder internationale Konflikte) und die Rolle sozialer Medien prägen den Rahmen, in dem Jugendliche und Erwachsene auf extreme Angebote stoßen.

Die Beratungsarbeit bewegt sich daher stets im Spannungsfeld zwischen individuellen Biografien und gesamtgesellschaftlichen Dynamiken. Sie trägt dazu bei, konkrete Wege aus extremistischen Szenen aufzuzeigen – und gleichzeitig die Gesellschaft als Ganzes resilienter gegenüber extremistischer Ideologie zu machen.

Präventionslandschaft in Deutschland

Deutschland verfügt im internationalen Vergleich über eine gut ausgebaute Präventionslandschaft. Insbesondere die tertiäre Prävention – also die Arbeit mit Menschen, die bereits radikalisiert sind oder Teil extremistischer Gruppierungen waren – gilt als international anerkannt. Gleichwohl bestehen Herausforderungen: Schulen und Jugendämter sind häufig überlastet, während zivilgesellschaftliche Träger regelmäßig mit unsicheren Finanzierungsbedingungen konfrontiert sind.

Neue Trends erfordern neue Antworten

Besonders hervorgehoben wurden aktuelle Trends:

Vertrauen schaffen, Perspektiven eröffnen

Der Grüner Vogel e.V. stellte in diesem Kontext seine Arbeit in der Beratungsstelle Leben vor. Diese begleitet bundesweit Menschen, die aus extremistischen Strukturen aussteigen oder Distanzierungsschritte gehen wollen – ebenso wie deren Angehörige. Die Arbeit ist vertraulich, kultursensibel, ressourcenorientiert und erfolgt in enger Kooperation mit Jugendhilfe, Justiz, Sicherheitsbehörden und weiteren Fachstellen.

Ein besonderes Anliegen ist es, Brücken zwischen staatlichen Strukturen und Zivilgesellschaft zu schlagen. Unterschiedliche Arbeitslogiken – etwa die Ermittlungs- und Eingriffslogik der Polizei und die Beziehungs- und Unterstützungslogik der Beratung – können sich sinnvoll ergänzen, wenn gegenseitiges Verständnis vorhanden ist.

Dabei steht für uns stets im Vordergrund: die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit zivilgesellschaftlicher Angebote. Nur so kann Beratung glaubwürdig, vertrauensvoll und wirksam arbeiten – im Interesse der Betroffenen und zugleich im Sinne gesamtgesellschaftlicher Sicherheit.

Deradikalisierung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Die Lehreinheit an der Hochschule der Polizei Brandenburg verdeutlichte, wie wichtig es ist, diese unterschiedlichen Perspektiven miteinander zu verbinden. Prävention kann nur dann nachhaltig wirken, wenn sie individuelle Biografien, gesellschaftliche Rahmenbedingungen und sicherheitspolitische Anforderungen zusammendenkt.

Die Diskussion mit den Studierenden zeigte großes Interesse an diesen Fragestellungen – und machte zugleich deutlich, dass Deradikalisierung und Ausstieg nicht nur Themen einzelner Beratungsstellen sind, sondern Aufgaben, die unsere gesamte Gesellschaft betreffen.