– Austausch über Prävention, Rückkehr und die Stimme der Angehörigen
Wie umgehen mit Rückkehrerinnen, Radikalisierung und der Sprachlosigkeit in Familien?
Beim Besuch von Lamya Kaddor tauschten wir uns über aktuelle Herausforderungen in der Islamismusprävention, die Radikalisierung Jugendlicher über soziale Medien und die oft überhörten Stimmen betroffener Angehöriger aus. Einblicke in unsere Arbeit – und ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit und Differenzierung.

Einblicke in die Praxis der Präventionsarbeit
Anfang Juli hatten wir beim Verein Grüner Vogel e.V. die Gelegenheit, Lamya Kaddor – Bundestagsabgeordnete, Islamwissenschaftlerin und langjährige Akteurin in der Präventionsarbeit – bei uns zu begrüßen. Im Mittelpunkt des Besuchs stand der Austausch über unsere Erfahrungen in der Islamismusprävention und Deradikalisierung sowie über die Herausforderungen im Umgang mit Rückkehrer*innen aus jihadistischen Kontexten.
Menschen im Mittelpunkt – nicht nur Fälle
Als Verein arbeiten wir mit Menschen, die von islamistischer Radikalisierung betroffen oder gefährdet sind – unabhängig von Geschlecht oder Alter. In den letzten Jahren haben wir insbesondere viele Frauen und ihre Kinder auf dem Weg der Reintegration begleitet. Die Rückkehr aus jihadistischen Strukturen, oft aus Kriegs- und Krisengebieten, ist mit zahlreichen Herausforderungen verbunden – rechtlich, sozial und emotional. Unser Fokus liegt auf individueller Beratung, psychosozialer Stabilisierung, Begleitung im Alltag sowie auf langfristiger Unterstützung in Bildungs- und Familienkontexten. Gleichzeitig bringen wir auch Erfahrungen aus der Arbeit mit männlichen Rückkehrern und radikalisierten Jugendlichen ein.
Influencer, Ideologien, Ideale – Radikalisierung im digitalen Raum
Kaddor interessierte sich auch für aktuelle Entwicklungen im Bereich der Radikalisierung und Rekrutierung von Jugendlichen, insbesondere über soziale Medien. Unsere Mitarbeitenden berichteten von beunruhigenden Trends und der zunehmenden Bedeutung von religiösen Influencern, Predigern und bestimmten Subkulturen, in denen Männlichkeitsbilder, Kampfsport und Gewaltverherrlichung ineinandergreifen. Die größte Herausforderung sehen wir aktuell in der frühen Radikalisierung von Minderjährigen, die über Plattformen wie TikTok, Instagram oder Telegram mit extremistischen Inhalten in Kontakt kommen. Hier braucht es dringend mehr Prävention, digitale Aufklärung und interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Zwischen Sorge und Strafverfolgung – Stimmen der Angehörigen
Ein wichtiger Teil des Besuchs war das Gespräch mit Angehörigen, die sich in einem offenen Brief an uns und die Öffentlichkeit gewandt hatten. In eindrücklichen Worten schildern sie ihre Überforderung, die Isolation und den belastenden Zustand der Ungewissheit: Ihre Angehörigen befinden sich in Gefängnissen in Nordostsyrien – Orte, zu denen internationale Organisationen wie das Internationale Rote Kreuz keinen Zugang haben. Seit Jahren haben die Familien keinen Kontakt zu ihren Angehörigen. Viele wissen nicht, ob ihre Verwandten gesund sind oder ob sie überhaupt noch leben. Trotz dieser Situation betonen sie ihren Wunsch nach einer strafrechtlichen Aufarbeitung – verbunden mit dem Bedürfnis nach Information, Kontakt und einem menschenwürdigen Umgang.
Lamya Kaddor zeigte im Gespräch großes Verständnis für die schwierige Lage der Familien. Sie hob hervor, dass rechtsstaatliche Verfahren und humanitäre Verantwortung keine Gegensätze sein dürfen. Ein differenzierter Umgang mit Rückkehrer*innen erfordert aus ihrer Sicht sowohl sicherheitsbezogene Maßnahmen als auch soziale und gesellschaftliche Perspektiven: „Eine geregelte und geordnete Rückkehr liegt auch in unserem eigenen Sicherheitsinteresse, um einem Ausbruch aus den Gefangenenlagern vorzubeugen und eine gesicherte Rückführung, Verurteilung und Integration zu gewährleisten. Wir haben eine Verantwortung, die Syrerinnen und Syrer mit der Herausforderung nicht alleine zu lassen.“
Für uns als Grüner Vogel e.V. war dieser Besuch eine wichtige Möglichkeit, unsere praktischen Erfahrungen mit der politischen Ebene zu teilen. Wir danken Lamya Kaddor für ihr Interesse an unserer Arbeit und den Angehörigen für ihr Vertrauen und ihren offenen Austausch. Ihre Stimmen verdeutlichen, wie wichtig es ist, Menschen nicht auf ihre Vergangenheit zu reduzieren – sondern ihnen auch in schwierigen Situationen mit Klarheit, Verantwortung und Respekt zu begegnen.