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Jugendliche im Fokus – Neue Herausforderungen im Kontext von Radikalisierung und Extremismus

Auftakttreffen des Panels „Ideology & Conspiracy Narratives“ in Brüssel

Von Fabian Wichmann

Gruppenbild des „Ideology & Conspiracy Narratives“ im Rahmen des EU Knowledge Hub on Prevention of Radicalisation
Gruppenbild des „Ideology & Conspiracy Narratives“ im Rahmen des EU Knowledge Hub on Prevention of Radicalisation

Am 27. und 28. März 2025 fand in Brüssel das erste Treffen des von uns geleiteten Panels Ideology & Conspiracy Narratives“ im Rahmen des EU Knowledge Hub on Prevention of Radicalisation statt. Der Knowledge Hub bringt Praktiker*innen, politische Entscheidungsträger*innen und Wissenschaftler*innen aus ganz Europa sowie ausgewählten Drittstaaten zusammen, um gemeinsam wirksame Ansätze zur Radikalisierungsprävention zu entwickeln und weiterzudenken.

Thema des Panels: „How and Why Minors and Youth are Attracted to Extremist Ideas?“

Im Mittelpunkt unseres ersten Treffens stand ein hochaktueller Schwerpunkt: die Radikalisierung von Minderjährigen und Jugendlichen. Diskutiert wurden unter anderem die gezielte Ansprache junger Menschen durch extremistische Gruppen, die Rolle digitaler Plattformen, der Einfluss ideologischer Narrative und Verschwörungserzählungen sowie dringend notwendige präventive Maßnahmen.

Zentrale Erkenntnis: Jugendliche als aktive Akteure

Zentrale Erkenntnis: Jugendliche sind heute nicht mehr nur passive Empfänger extremistischer Inhalte, sondern zunehmend aktive Gestalter und Multiplikatoren radikalisierender Narrative – insbesondere in digitalen Räumen. Der Übergang zwischen Rebellion, Identitätssuche und ideologischer Aufladung verläuft oft fließend. Extremistische Gruppen nutzen digitale Plattformen gezielt aus, um Anschlussfähigkeit zu erzeugen – über popkulturelle Codes, Gamification oder vermeintlich harmlose Selbstoptimierungsangebote.

Ein beunruhigendes Signal liefert in diesem Zusammenhang die jüngst veröffentlichte Polizeiliche Kriminalstatistik 2024: Im vergangenen Jahr wurden 13.755 Kinder unter 14 Jahren als tatverdächtig im Zusammenhang mit schweren Straftaten erfasst – ein Anstieg von 11,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch bei Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren ist ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen: 31.383 Tatverdächtige bedeuten einen Anstieg um 3,8 Prozent. Diese Zahlen zeigen, dass sich gesellschaftliche Spannungen und digitale Dynamiken zunehmend im Verhalten junger Menschen niederschlagen – auch jenseits explizit extremistischer Kontexte. Vor dem Hintergrund wachsender Radikalisierungstendenzen im Netz unterstreichen sie einmal mehr die Notwendigkeit frühzeitiger, umfassender und niedrigschwelliger Prävention.

Zentrale Takeaways aus unserem Panel
  • Digitale Resilienz stärken: Medienbildung, Achtsamkeit und gesunde Skepsis müssen bereits im Grundschulalter gefördert werden – als Basis für ein reflektiertes, kritisches und selbstbewusstes Verhalten in digitalen Räumen.
  • Plattformen sicher gestalten: Digitale Räume brauchen eine kindgerechte Architektur („Safety by Design“), die Schutz und Selbstwirksamkeit verbindet. Sie sind dabei nicht die alleinige Ursache für Radikalisierung, aber ein relevanter Risikofaktor, der im Zusammenspiel mit anderen Bedingungen wirkt.
  • Cross-sectional and multi-agency approach stärken: Eine wirksame Prävention erfordert die enge und dauerhafte Zusammenarbeit über Fachgrenzen hinweg – zwischen Extremismusforschung, Entwicklungspsychologie, Bildungswesen, Sozialarbeit, Gesundheitswesen und Sicherheitsbehörden. Prävention ist nur wirksam, wenn sie vernetzt denkt.
  • Eltern und Pädagog*innen einbinden: Aufklärung, Monitoring und der offene, wertschätzende Dialog mit jungen Menschen müssen zentrale Bausteine im Alltag sein – sowohl in der Familie als auch in der Schule. Präventionsarbeit beginnt im Vertrauen.
  • Ursachen ganzheitlich betrachten: Radikalisierung ist kein individuelles Problem einzelner „auffälliger“ Jugendlicher, sondern Ausdruck gesellschaftlicher, sozialer und emotionaler Krisenlagen. Kinder und Jugendliche, die Probleme machen, haben oft selbst welche – dieser Perspektivwechsel ist grundlegend. Kinder und Jugendliche sind keine Risikofaktoren, sondern die Lösung ihrer Probleme ist eine gesellschaftliche Aufgabe.
  • Rechtlich und technisch regulieren: Es braucht klare gesetzliche Vorgaben für Altersverifikation und Content-Moderation auf digitalen Plattformen – ohne dabei überzureagieren oder Plattformen als alleinige Gefahrenquelle zu verstehen. Es geht um Schutzräume, nicht um Verbote.
  • Keine Konzentration auf sicherheitsbehördliches Handeln: Trotz notwendiger Kooperation mit Sicherheitsbehörden darf und kann das Thema nicht ausschließlich über strafrechtliche oder sicherheitspolitische Maßnahmen gelöst werden. Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, keine rein polizeiliche.
  • Schule und Elternhaus stärken: Bildungseinrichtungen und Eltern brauchen Strukturen, Ressourcen und Handlungssicherheit, um präventiv arbeiten zu können. Das bedeutet: Lehrkräfte qualifizieren, Prävention curricular verankern, Eltern mitnehmen – und junge Menschen aktiv einbinden.
Brücke zu unserem Fachtag „Die Attentäter*innen werden immer jünger“

Die Themen unseres Panels knüpfen direkt an die Inhalte unseres diesjährigen Fachtags „Die Attentäter*innen werden immer jünger“ an. Auch dort standen aktuelle Entwicklungen, Herausforderungen und Good Practice im Umgang mit radikalisierten Minderjährigen im Mittelpunkt.

Hinweis: Eine ausführliche Tagungsdokumentation erscheint in Kürze auf unserer Website.

Mehr zu unserem Fachtag.


Fabian Wichmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Grüner Vogel e.V. und Co-Leiter des Panels „Ideology & Conspiracy Narratives“ des EU Knowledge Hub on Prevention of Radicalisation.